Scheibenreparaturen werden immer aufwändiger

Windschutzscheiben übernehmen immer mehr Funktionen – vom Assistenzsystem bis zur Displayfläche. Das erhöht die Variantenvielfalt und macht Reparaturen deutlich aufwändiger und teurer als früher.

Quelle: SPX / Foto: Carglass

Autoreparaturen werden immer teurer und aufwändiger. Das gilt auch bei Schäden an den Scheiben – aus der einst simplen Glasplatte ist längst ein Hightech-Bauteil geworden, das schnell vierstellige Beträge kostet.

Auch heute noch wichtigste Aufgabe der Frontscheibe und der anderen Glasflächen ist der Schutz der Insassen vor Fahrtwind und Wetter. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sind aber zahlreiche weitere Funktionen hinzugekommen: Angefangen beim Sonnen- und Lärmschutz über die Durchleitung von Funksignalen bis hin zur Unterstützung von Assistenzsystemen. Auch als Bildschirm dient das Glas mittlerweile - selbst in Kompaktautos zählen Head-up-Displays heute fast zum Standard. „Bis zu 28 verschiedene Funktionen kann eine Scheibe heute haben“, erläutert Bernd Zimmermann, der beim Autoglas-Spezialisten Carglass für das operative Geschäft an über 400 Standorten verantwortlich ist.

Nicht eben leichter wird Zimmermanns Job durch die immer weiterhin wachsende Zahl an Scheibenvarianten. Für eine typische Premiumlimousine im Business-Segment beispielsweise gibt es gut drei Dutzend unterschiedliche Scheiben, davon allein acht Frontscheiben, mal in Standardausführung, mal mit oder ohne Lärmdämmung, mal mit oder ohne Wärmeschutz oder Heizfunktion. Und auch für Fahrzeuge mit Head-up-Display gibt es eigene Gläser mit besonderer Form und speziellem Aufbau. Dazu kommen unterschiedlich getönte Scheiben rund ums Fahrzeug, verschiedene Heckscheiben und nicht zuletzt die in den vergangenen Jahren immer beliebter gewordenen Panorama-Glasdächer unterschiedlicher Formate. Generell geht der Trend zu ausufernden Glasflächen: Nicht nur in Extremfällen wie dem 2,85 Quadratmeter großen Frontscheibe, die sich beim Tesla Model X bis ins Dach zieht – sondern auch bei fast allen andern Autos. 32,8 Kilogramm wiegt das kuppelförmige Glas, eine Standard-Frontscheibe kommt im Schnitt auf 12,8 Kilogramm.

Allein in den vergangenen sechs Jahren hat der Anteil von Scheiben mit Sonderfunktionen stark zugenommen. Mehr als die Hälfte der Autogläser in Europa verfügen mittlerweile über Geräuschdämmung, ähnlich viele über einen Hitzeschutz. Wachstum gab es auch bei Heizung und Head-up-Displays. Ganz besonders zugelegt haben aber die Vorbereitungen für Assistenzsysteme: Fast alle neuen Autos verfügen über eine bis drei Frontkameras, die in einem speziellen Gehäuse hinter der Windschutzscheibe befestigt werden. Die Videosensoren dienen als Datenlieferant für Assistenzsystem, von der Verkehrsschilderkennung bis zum Level-3-Autopiloten. Künftig wird kein Neuwagen mehr ohne Kamera auskommen.

Die Assistenten stellen auch hohe Anforderungen an die Glasfertigung. Denn das Licht, das auf die Videosensoren fällt, darf durch die Scheibe nicht abgelenkt oder falsch gebrochen werden. Sonst scheitert etwa die exakte Lokalisierung von Hindernissen. Notbremsassistenten und Abstandsregler würden dann nicht oder nicht richtig funktionieren. Auch bei der Scheibenreparatur spielt das eine Rolle, denn nach jedem Tausch muss die Frontkamera erst ausgebaut und dann neu kalibriert werden. „Mittlerweile ist das bei jedem zweiten Kundenfahrzeug nötig“, so Zimmermann. Bald wird es in 100 Prozent der Fälle so sein.

Die wachsende Komplexität führt auch zu steigenden Reparaturkosten. Genaue Zahlen nennt Zimmermann nicht, je nach Pkw-Modell kann ein Austausch aber schon mal vierstellige Kosten verursachen. Carglass versucht, den Aufwand nicht zuletzt mit ausgefeilt effizienten Reparaturverfahren im Rahmen zu halten. Europaweit arbeiten alle Standorte im Team daran, Reparaturanleitungen zu optimieren und Kalibrierungsverfahren zu beschleunigen. „Aber vor allem die Newcomer-Hersteller aus China haben nicht immer darauf geachtet, wie man Autos so entwickelt, dass man sie auch einfach reparieren und Scheiben austauschen kann“, so Zimmermann. Noch hätten sie den sogenannten Aftermarket kaum im Blick. Ähnliches gilt auch für etabliertere Marken wie Tesla, bei deren Autos vor allem die Kalibrierung aufwändig ist.

„Vor 20 Jahren war der Scheibentausch einfach“, so Zimmermann. Heute wird er immer komplexer. Nach Möglichkeit setzt er daher bei den häufigsten Glasschäden – dem Steinschlag – vor allem auf Reparaturen. Die zahlt bei Kaskokunden die Versicherung, und zwar gerne. Denn die Ausbesserung kostet sie weniger als 200 Euro pro Fall – oft ein Bruchteil des Komplett-Tauschs, der bei unbehandelten Löchern im Glas irgendwann droht. Dabei hilft auch die geringere Komplexität der Reparatur: Zwar ist das Verfahren über die Jahre ebenfalls immer weiter verfeinert worden, aber es ist bei jedem Auto im Wesentlichen gleich: beim Kleinwagen funktioniert es genauso wie beim Luxus-Sportler. Das spart Aufwand und Geld.