Harlekins, Weißware und Red Heat
Alles grau in grau, so wie 1945, als die Autowelt nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Fahrt kam: Damals wurden die ersten Neuwagen „Friedenstauben“ genannt, heute liegen „Leasing-graue“ Dienstwagen im Trend. Trotz dieser Tristesse bleibt Platz für bunte Provokateure.

Kein Fest der Farben: Trübe, gedeckte Lackierungen liegen heute im Trend, wie der Blick auf die Straßen zeigt. SUVs, Kombis und sogar Kleinwagen in „Leasing-Grau“ oder „Business-Schwarz“ verkaufen sich besser. Und doch sind es immer wieder bunte Revolutionen, die Autos begehrenswert machen. „Wenn man ein Kind bittet, ein Auto zu malen, wird es dafür mit Sicherheit die Farbe Rot benutzen“, erklärte schon Enzo Ferrari, als er Ende der 1940er Jahre mit seinen in Corsa-Rossa lackierten Sportwagen die Tristesse der damals ebenfalls überwiegend grau-schwarzen Farbwelt unter den ersten Nachkriegsmodellen von Austin über Mercedes bis VW auflockerte.
Tatsächlich waren es zunächst vor allem italienische und amerikanische Designer, die bunte Autos wollten und mit hellen Pastelltönen oder Zweifarblackierungen Akzente setzten, die in jenen Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs Begehren auslösten. Ein riesiger Cadillac oder Chrysler, aber auch ein großer Alfa 1900, Citroen DS oder Volvo Amazon wirkte flacher, gestreckter und dynamischer, wenn das Dach mit einer Kontrastlackierung farblich abgesetzt war – ein Trend, der heute bei SUVs revitalisiert wird.
Aber auch pflegeleichte, weil staubunempfindliche „Weißware“ blieb bis in die 1970er Jahre beliebt, wie etwa Liedermacher Reinhard Mey in seinem Song vom „schneeweißen Kapitän“ feierte. Knallige Signalfarben wie Orange sollten ab den späten 1960ern Sichtbarkeit und Sicherheit bringen, vor allem Dynamiker wie BMW 2002, NSU TT oder Porsche 911 punkteten damit. Bis in die 1980er sprach die Autowerbung oft gezielt Männer an – aber keine Kaufentscheidung ohne Frauen, stellten verschiedene Studien klar. Dennach oblag in acht von zehn Fällen Frauen die Entscheidung über die Farbe des neuen Autos, und die Damen folgten dabei den Modezyklen der Bekleidungsbranche von knallig bis dunkel. Ein Phänomen, das automobile Designstudios früh veranlasste, auf die Expertise von Frauen bei Farben und Materialien zu vertrauen.
Speziell die „Colour & Trim Departments“ werden oft von Designerinnen geleitet. Eine Entwicklung, die schon 1953 durch Renault initiiert wurde: Die Textildesignerin Paule Marrot als „Fachberaterin für Farben“ sorgte für Furore, woraufhin Alfa Romeo auf die Expertise der Alta-Moda-Spezialistin Jole Veneziani vertraute. Veneziani etablierte Textilmode „made in Italy“ in Nordamerika, ein Ziel, das auch Alfa mit seinen Mailänder Premiummodellen verfolgte.
Veneziani gestaltet nicht nur die Interieurmaterialien der Modelle Giulietta, 1900 und 2000 nach Haute-Couture-Maßstäben, auch die Farbpalette war disruptiv. Dazu ersetzte Veneziani die bis dahin nüchternen Farbnamen durch faszinierende Bezeichnungen wie Aurora (Morgenröte), Verde Bosco (Waldgrün), Aqua di Fonte (Quellblau), Giallo Paglierino (Strohgelb) oder Pomodoro (Tomatenrot) – das Startsignal für eine bis heute kultivierte fantasievolle Farb-Namensgebung bei fast allen Autobauern. Alfa Romeo mauserte sich durch die kreativen Farben zum verführerischen Paradiesvogel unter den Premiumkonkurrenten. Schließlich galt schon damals, was Francois Farion, Director Design bei Renault, heute sagt: „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Farbe für viele Menschen das zweitwichtigste Detail an einem neuen Auto ist.
Wenn jemand ein neues Auto gekauft hat, wird er zuerst gefragt: Was für ein Modell? Und gleich danach: Welche Farbe?“ Mit der Folge, dass heute rund 80 Prozent der Kunden – sofern verfügbar – eine Zweifarblackierung wählen, wie Farion erklärt. Ein Phänomen, das schon in den 1950ern bei Renault Dauphine und Citroen DS zu beobachten war.
Gold – bisweilen sogar
veredelt durch echtes Blattgold – galt dagegen als Couleur der
Champions, Mitte der 1950er zu erleben etwa beim einmillionsten VW Käfer
oder dem Kapitän als zweimillionstem Opel-Automobil. Apropos Champions:
Auch Motorsport-Championate waren bis 1970 von besonderen Farben
geprägt. So trugen italienische Autos Rot (Rossa Corsa) und französische
Fahrzeuge Blau, während britische Rennwagen an British Racing Green zu
erkennen waren. Kein Wunder, dass britische MG- oder Jaguar-Sportwagen
oft ebenfalls grün lackiert waren, während die französischen
Leichtbau-Flundern von Alpine als „Equipe Bleu“ bekannt wurden.
Mit
steigendem Wohlstand zeigten Autokäufer in den 1960ern und 1970ern gern,
wer sie waren: Den sozialen Aufstieg belegten edle
Metallic-Lackierungen oder zumindest „schnelle“ Rallyestreifen und die
mattschwarze Motorhaube. Dagegen versprachen Farbtöne à la
„Targa-Orange“ nicht nur Temperament ähnlich wie beim Porsche 911,
sondern auch „Vorsprung durch Technik“ beim Wankelmotor-Pionier NSU Ro
80, nicht zu vergessen das legendäre „Weißherbst“ beim
Wankel-Supersportler Mercedes C 111.
Kurz nach der ersten Ölkrise von 1973/74 kreierten Künstler einen Farbenrausch in der Automobilwelt: „Die Kunst, mit Erfolg Individualist zu sein“, warb BMW für seinen ersten 3er (E21), der auf einem Plakat zwischen schreiend bunten BMW-Art-Cars der prominenten Künstler Alexander Calder, Frank Stella und Roy Lichtenstein parkte. Art Cars erlebten einen Hype, zumal auch schon Popstars der 1960er wie John Lennon oder Janis Joplin ihre privaten Rolls-Royce und Porsche in psychedelischen Farben veredeln ließen. Als Volkswagen 1994 die dritte Generation des Polo lancierte, ging sogar aus einem Showcar mit bunten Ausstattungskomponenten ein Art Car hervor. Das Polo-Konzeptauto mutierte ein Jahr später zum legendären Sondermodell Polo Harlekin mit Teilen aus Flashrot, Ginstergelb, Pistazie und Chagallblau.
Pop Art anderer Art zelebrierten derweil Renault, Lancia oder Toyota. Während westliche Allradler durch die von Umweltdiskussionen geprägten 1980er und 1990er vorzugsweise in Erdtönen oder in „Japan-Weiß“ fuhren, gab es den Toyota RAV4 Funcruiser 1995 als Colour-Plus-Edition in 136 Farbkonfigurationen. Erstmals konnten 4x4-Fans ihren SUV passend zur Farbe des Lieblingspullovers bestellen – während die vorzugsweise weibliche Kundschaft des Cityflitzers Lancia Y aus einem vergleichbar großen Farbprogramm namens Kaleidos wählen konnte.
Zu viel Qual der Wahl. Bald reduzierten die Hersteller ihre Farbpaletten wieder, nur Edelmanufakturen wie Bugatti oder Individualisierungsprogramme etwa bei Porsche bieten noch heute ein Meer der Möglichkeiten. Schrille Farbkleckse setzten aber auch Kleinwagen á la Renault Twingo und Smart in den 1990ern oder seit den 2000er Jahren schicke Retro-Flitzer in der Art von Fiat 500, (BMW) Mini oder elektrischer Renault 5 – allesamt Blickfänger auf grauen Großstadtboulevards.
Pulsbeschleunigende „Red Heat“ entfachen dagegen weiter rote und orange Sportwagen, das längst nicht mehr nur aus bella Italia, sondern nun auch aus Japan (Mazda MX-5, Toyota GR86) oder elektrisch aus China (MG Cyberster). Aber auch einige der heute omnipräsenten Crossover setzen auf Emotionen durch eine bunte Farbgebung. Manche Marktforscher und Designer erwarten sogar, dass brillant-bunte statt grauer Farben die Autoformen der Zukunft in Bewegung bringen.